Gedanken zum Untergang des Geistes

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Es gab mal eine Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts, da entwarf ein fähiger Ingenieur für die Firma Zeiss ein Objektiv, man nannte es Tessar, und die Konstruktion war so genial, dass man es modifiziert noch heute baut. Aufgrund seiner Schärfe bekam es den Namen „Adlerauge“.
In den 30er Jahren hatte man das Objektiv so weit verbessert, dass damit eine Blende von 1:2,8 erreicht werden konnte. Dies war möglich, da man nicht mehr nur auf Platten von der Grösse eines Löschblatts oder Rollfilm fotografierte, welcher ja auch immerhin Negative von 60x45mm bis 60x90mm erzeugte, sondern auf Kleinbildfilm, wie ihn sicher noch einige kennen. Dieser hatte nur noch eine Negativgrösse von 24x36mm und durch Lichtbündelung auf diese kleinere Fläche war Wert von 1:2,8 leichter erreichbar.
Die Leute von Zeiss Ikon bauten an dieses Objektiv nach dem Krieg eine Kamera, die Contaflex, ein Musterbeispiel deutscher Ingenieurskunst. Man entwickelte die Kamera weiter, machte sie komplizierter und aufwändiger, aber an den Hauptbestandteil der Bilderzeugung – das Objektiv – dachte man eher selten. Wenn, dann eher als Kostenfaktor, dem man durch Verwendung einfacherer Konstruktionen, wie dem Pantar, entgegensteuern musste.

Nach einigen Jahren kamen kleine findige Japaner daher und machten dem grossen deutschen Hersteller Zeiss Ikon das Leben schwer. Diese Firmen hiessen Canon und Nikon und bauten anfangs, wie Chinesen jetzt, die Modelle von Zeiss Ikon und anderen deutschen Herstellern leicht verändert nach. Deutschland war damals Weltmeister ! In allen Klassen ! Die besten Kameras kamen von Zeiss Ikon/Contax, Leica/Leitz, Rollei, … Selbst wenn man wie ich ein Verfechter der Entschleunigung ist, haben es diese Firmen durch die Bank weg verschlafen, das weiter zu entwickeln, worauf es beim Fotografieren ankommt, die Objektive, und zusätzlich noch das, was Geld in die Kassen spült – den Bedienkomfort.  Eine alte Zeiss Ikon macht heute noch bessere Bilder auf Film, als das teuerste Fotohandy je machen wird. Ein Filmnegativ – selbst im Kleinbildformat – ist so gross, dass man darauf einen Fleck, der so gross wie der Sensor eines Fotohandys ist, versuchen würde als Dreck abzukratzen.

Kommen wir aber zurück zu den kleinen Japanern. Diese machten sie sich einige Gedanken und Stück für Stück veränderten sie die Kameras und entwickelten auch die Objektive weiter. Auf einmal waren lichtstarke Objektive mit einer Blende von 1:1,8 und besser möglich, die auch noch schärfere Bilder lieferten. Dank Autofokus musste man nicht mehr von Hand die Entfernung einstellen und der Film wurde mittels Motor weitergespult.

Huch, haben sich da die deutschen Hersteller erschrocken.
Auf einmal konnte Abteilungsleiter Marius Klappe-Groß auch mit 3 ATÜ auf dem Kessel so scharfe Bilder fabrizieren, die ihm zuvor selbst nüchtern nie gelangen, weshalb er früher meist die teure Kamera zuhause vergass oder auf die unfähigen Leute im Fotolabor schimpfte.
Huch, waren auf einmal die japanischen Kameras gefragt und die waren zudem noch viel preiswerter als die deutschen.
Wie es weiterging, ist schnell erzählt. Die deutsche Kameraindustrie war einmal. Was noch unter bekannten Namen umhergeistert, sind häufig nur noch Namensrechte. Über den Wert des dahinter stehenden Produktes muss man sich im Einzelfall auseinander setzen.
Einzig ununterbrochen produzierender Hersteller ist noch Leica (Leitzsche Camerafabrik, daher auch immer die Leica), die durch folgende Gründe bis heute überlebt:

  • ihre unerschütterliche Fangemeinde, vergleichbar mit Apple-Nutzern (ich bin selbst seit über 20 Jahren Mitglied bei Apple und 15 Jahre Leica-Nebenbei-Benutzer, daher darf ich das sagen) 😉
  • im Vergleich zu den anderen deutschen Herstellern sensationell schnell und folgerichtig reagierendes Führungspersonal
  • gute Qualität
  • daran gekoppelt, den Snob-Faktor, weil Qualität kostet und was teuer ist, passt auch gut zu Goldkettchen, Omega, Klunker, 300 SL, Nerz, Loft in Hamburg und 20-Meter-Yacht, selbst wenn man nichts davon richtig bedienen kann
  • glückliche Kooperationen und finanzielle Drahtseilakte

Erinnern wir uns, einer der Gründe für den Niedergang war auch das Festhalten an Objektiven mit einer Blende von 1:2,8, wo andere schon besser waren.
Nun sind seit diesen Tagen ja doch schon ca. 40 Jahre vergangen und es gibt jetzt Digitalkameras. Viele haben Sensoren, die so gross sind wie der o.g. Dreckfleck, aber einige haben dann doch etwas grössere. So z.B. Kameras mit Wechselobjektiven im Micro Four Thirds-(MFT)-Format, wie u.a. Olympus und Panasonic. MFT ist hier der Anschluss, limitiert aber über seine Grösse wiederum die Grösse des Sensors auf ca die Hälfte eines Kleinbildnegatives. Wie ich ebenfalls weiter oben schon sagte, ist es einfacher, Licht auf eine kleinere Aufnahmefläche wie Film oder Sensor zu bündeln, um einen grösseren Blendenwert (1:1,8 > 1:2,8 😉 ) zu bekommen. Demzufolge sollten doch für solch kleine Sensoren Objektive mit Blenden von 1:1,8 nur so aus den Regalen quellen, oder ?
Weit gefehlt. Vor noch nicht allzu langer Zeit, hat Sigma, eine japanische Firma (!), eine verbesserte (!) Objektiv-Serie mit einer Blende von 2,8 herausgebracht. 2,8 !!! 40 Jahre nach den Deutschen machen die Japaner jetzt den selben Fehler !!! Und es gibt noch Leute, welche da jubelnd davon sprechen, dass der Firma damit „etwas besonderes gelungen ist – Blende 2,8 und das zu diesem Preis!“ Der selbe Schreiber wirft danach noch mit einigen Fachbegriffen um sich, die wohl den Eindruck von Ahnung verbreiten sollen.
Leider hat er wohl vor dem Schreiben sein Zäpfchen und 3 der 7 Tabletten nicht genommen. Da die Aufschriften auf den Objektiven sich alle auf das Kleinbildformat beschränken, sowohl Brennweite, als auch Blende, sind sie eigentlich für die Katz.

Nehmen wir das verlinkte Objektiv 60mm/1:2,8.
Durch den kleineren Sensor wird ein Teilausschnitt genommen, die Brennweite wird nicht verlängert, auch wenn das vielmals – gerade in Mediamarkt und Co – so propagiert wird, es ist trotzdem falsch.

Beispiel:
Kamera mit MFT-Sensor mit 12 Megapixel Auflösung und Vollformatkamera mit 24 Megapixel und an beide das selbe Objektiv. Das Bild der MFT-Kamera ist 100% genau so gross wie das entsprechende zentrale Teilbild der Vollformatkamera. Die Eigenheiten des Objektivs wie Verzeichnung, Vignette, etc. bleiben erhalten, nur werden sie ggf. nicht auf das kleinere Bild gebracht, weil der Teil schlicht fehlt. Hätte die Vollformatkamera z.B. nur 20 Megapixel, wäre ihr Bild vom Motiv her immer noch genauso gross, das Bild der MFT-Kamera wäre dann aber höher aufgelöst. Eigentlich stellt die MFT-Kamera also nur die Hälfte dessen dar, was möglich wäre. 😉

Um jetzt die Verwirrung noch weiter zu treiben, verändert sich mit der Sensorgrösse auch die mögliche Zone der Schärfe.

Beispiel:
60mm-Objektiv bei Blende 1:2,8 auf 4 Meter scharf gestellt

  • MFT-Kamera: ein Bereich von 3,82 bis 4,19 m, welcher noch scharf ist
  • Vollformatkamera: ein Bereich von 3,66 bis 4,41 m, welcher noch scharf ist
  • Vollformatkamera auf Blende 1:5,6 entspricht Blende 1:2,8 bei MFT

Die Vollformatkamera mit 120 mm-Objektiv hat den selben Bildausschnitt wie 60mm an MFT, der scharfe Bereich bei Blende 1:2,8 auf 4 Meter geht nur von 3,91 bis 4,09 m.

Die Belichtungszeit ändert sich jedoch nicht, da bezüglich der verfügbaren Lichtmenge Blende 1:2,8 immer Blende 1:2,8 bleibt. 😉 Auch die Faustformel Belichtungszeit aus freier Hand = 1/Brennweite in Sekunden muss man nicht auf kleinere Sensoren umrechnen.

Eigentlich hat mich nur ein kleiner Satz zu soviel Geschreibsel veranlasst, ich hoffe es war trotzdem lehrreich und nicht zu trocken.
Ach ja, das verlinkte Sigma-Objektiv IST billig preiswert und von den gezeigten Bildern her auch nicht schlecht, aber ob der Blende so aus dem Häuschen zu geraten, naja, das lag dann wohl doch am fehlenden Zäpfchen und den vergessenen Tabletten.

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