Regeln: Teil 1 – Die Crux mit der kaputten Kamera

Veröffentlicht am Veröffentlicht in Foto

Wie häufig passiert es, daß man ein Motiv oder eine Szene in natura als großartig empfindet und sie dann auf einem Bild eher so la-la aussieht?
Das menschliche Auge mit meist nachgeschaltetem Hirn ist ein fantastisches Konstrukt, das man fotografisch erstmal austricksen muß.

Die Regeln

Ja, es gibt Regeln und gute Fotografen halten sich trotzdem nicht immer dran. Viele der Regeln sind aus anderen Bereichen der Natur und der Kunst entnommen und damit schon über hunderte von Jahren bekannt. Getreu eines in verschiedenen Wortlauten kursierenden Zitates, welches wahlweise Pablo Picasso oder Tenzin Gyatso zugeschrieben wird, sollte man ja die Regeln erlernen, um dann zu wissen, wie man sie als Meister bricht. Da das Ganze ein Mehrteiler wird, fangen wir einfach mal an.

Tiefenstaffelung

Die Regel ist so einfach, wie sie zu brechen. Vordergrund, Motiv, Hintergrund. Häufig werden in der Portraitfotografie irgendwelche Accessoires im Vordergrund und ein sich vom Hauptmotiv gut abhebender Hintergrund verwendet. In meinem Beispielbild habe ich das schon ein wenig variiert, das eigentliche Motiv ist schon der Hintergrund, die Schärfe liegt auf einem eher belanglosen Teil des Bildes. Will man dieses Gestaltungsmittel nutzen, ist es nützlich, den Bereich der Schärfe zu kennen, die das Objektiv abbildet. Gab es früher auf den Kameras z.T. Schärfetabellen, wurden diese mit der Zeit durch eine Skala am Objektiv abgelöst und heutzutage mittels App berechnet. Für iOS habe ich mich über die letzten Jahre mit SimpleDOF angefreundet, kostenlose Möglichkeiten im Netz gibt es z.B. hier. Ein tolles Hilfsmittel, gerade für manuellen Fokus ist dafür ein Laser Entfernungsmesser (Amazon Affiliate). Diese gibt es zwar auch billiger, aber ihr glaubt nicht, wie schnell man das Teil auch für andere Zwecke einsetzt und dann freut man sich, doch die 80-Meter-Variante genommen zu haben.

Gern wird auch der Trick angewandt, direkt vor dem Objektiv einen aufgedröselten Topfreiniger aus Metallwolle zu befestigen und durch gekonnte Beleuchtung diesen wie einen Glitzervorhang wirken zu lassen. Bei Nahaufnahmen bis ca drei Meter bietet es sich auch an, eine Bewegung in Richtung des Objektivs zur Darstellung von Tiefe zu nutzen. Warum nur drei Meter, werdet ihr euch fragen. Ganz einfach antworte ich, bei zunehmender Entfernung schwindet der Effekt. Weshalb das so ist, steht in den nächsten Absätzen.

Nehmt euch die Zeit, mal mit verschiedenen Blendenwerten im Rechner zu spielen, um ein Gefühl zu bekommen, wie wenig eigentlich bei weit geöffneten Blenden scharf dargestellt wird. Nur so mal zum Vergleich – viele aktuelle Smartphones sind länger als die Entfernung zwischen Nasenspitze und Mitte des Ohres und das ist plus minus ein paar Millimeter in etwa der Bereich, der bei einer Portraitaufnahme mit 85mm Brennweite und weit offener Blende (1:1.8) aus 3 Metern Entfernung ausreichend scharf abgebildet wird. So man denn genau auf das Auge der abgebildeten Person scharf stellt und diese ihr Gesicht parallel zum Sensor hält. Meist ist man als Fotograf näher dran und das Gesicht nicht parallel zum Sensor und schwupps, ist ein Auge scharf und das andere nicht.

Ein paar kleine Faustformeln gibt es, die merkenswert sind. Der Punkt optimaler Schärfe ist nicht in der Mitte der Zone ausreichender Schärfe, sondern leicht Richtung Objektiv vorgeschoben. Im obigen Beispiel ist das in etwa 6,2 cm Richtung Objektiv und 6,5 cm Richtung Hintergrund. Nicht viel, aber im Zweifelsfall der Unterschied zwischen gut und großartig. Je näher ein Motiv ist, desto schmaler wird die Zone ausreichender Schärfe, sind es im Beispiel noch fast 13 cm, wären es bei 2 Meter Entfernung nur noch 5,5 cm, bei einem Kopfportrait aus einem Meter Entfernung sind es noch ganze 1,4 cm.

Was erstmal eher negativ klingt, führt aber dazu, daß ein Bild auch ohne expliziten Vordergrund Tiefe bekommt. Die Möglichkeiten sind hier riesig, sei es der Hase im Gebüsch, das Auto hinter dem Gartenzaun, die einzelne Person in der Menschenmenge.

Probiert es aus – verwendet zu Beginn Blenden um 1:4 mit weiter entfernten Motiven und tastet euch langsam Richtung weiter offener Blenden und größerer Nähe vor. Und nicht vergessen: Vordergrund, Motiv, Hintergrund – zumindest, bis ihr es im Blut habt.

Farben (oder auch nicht)

Oh je, wenn er schon über so eine einfache Regel wie die Tiefenstaffelung so lange geschrieben hat, was soll jetzt erst zu den Farben kommen. Stimmt, eigentlich. Aber ich werde mir Mühe geben, es nicht zu übertreiben. Über Farblehre, Farbvalenzen und Co lässt sich tatsächlich stunden- und tagelange referieren.





Interessierten sei hier zum einen Wikipedia ans Herz gelegt, zum anderen ein interessanter Beitrag von Natalia Taffarel bei RAWexchange. Dieser bezieht sich zwar auf die Bearbeitung von Bildern am Rechner, doch kann man sich das Wissen durchaus zunutze machen, um eben diese zu verkürzen. Auch die in Wikipedia verlinkte Farbenlehre nach Küppers ist hochinteressant und mit dem Color Scheme Designer kann man sicher auch eine Weile herumspielen und die Betrachtungen Goethes zur Farbenlehre sind auch sehr erquicklich. In diesem Zusammenhang ist auch die unterschiedliche Besetzung von Farben in den verschiedenen Kulturkreisen bemerkenswert. Aber nicht nur Farben, auch Helligkeiten und ihre Verteilung im Bild spielen eine Rolle.

Schauen wir uns doch einfach mal meine Beispielbilder an. Das linke obere Bild ist recht einfach mit Komplementärfarben erklärt. Leicht türkises Blau und Rot liegen sich auf dem Farbkreis nahezu diametral gegenüber. Der Helligkeitskontrast ist eher niedrig, daher wirkt das Bild vorrangig nicht durch die beiden konkurrierenden Farben, sondern durch die aus der Farbachse ausbrechenden strahlend blauen Augen inmitten des helleren Bereiches des Bildes, also den eigentlichen Bruch der Regel. Hellere Bereiche ziehen prinzipiell erstmal mehr Aufmerksamkeit auf sich, es sei denn, das Verhältnis zwischen hell und dunkel ist sehr zugunsten von hell verschoben. Dann wirkt wiederum der dunkle Bereich aufmerksamkeitsführend, siehe Bild links unten.

Das Bild links in der Mitte in Bezug auf die Helligkeit ähnlich, nur daß sich hier um eine eher klassische Farbgebung handelt. Ich nenne dieses Farbmodell gern den Eifelturm, da hier einer Farbe auf dem Farbkreis zwei nicht so sehr weit auseinander liegende Farben auf der anderen Seite gegenüber stehen. Star-Trek-Jüger machen daraus sicher ein Sternenflottensymbol. Wichtig ist hierbei, daß die Abstände der beiden nahe beieinander liegenden Farben halbwegs gleich zur eigentlichen Komplementärfarbe sind.

Um bei den farbigen Bildern zu bleiben, erstmal der Sprung nach rechts oben. Hier kommen im nächsten Teil besprochene Gestaltungselemente hinzu, aber dazu später. Eigentlich hat dieses Bild keine Farbharmonie im Sinne von Kontrastfarben, Gelb, Grün, Rot und ein Hauch von Blau. Selbst mit viel gutem Willen lässt sich da nichts dran deuteln – eigentlich gehören die Farben anders, oder? Nein, die Farben sind alle auf einer Seite des  Farbkreise, weshalb das Bild fast monochrom wirkt, die einzig dominante Farbe ist das Rot der Lippen. Defacto eine Art Color-Key, bei dem normalerweise alle Farben bis auf eine ausgeblendet werden. Die Helligkeit lenkt erstmal den Blick auf die Schulter, um dann an der einzig nennenswerten Farbe hängenzubleiben.

Das Bild rechts in der Mitte ist der Effekt ähnlich. Wenige Farben, aber das helle Weiß der Augen und die roten Lippen ziehen die Aufmerksamkeit auf sich.

Die beiden unteren Bilder sollen nur die unterschiedlichen Wirkungen von hellen Bereichen in Bildern demonstrieren, ohne daß Farben ablenken. Das Thema Farben in monochromen Bildern ist mir dann doch einen eigenen Artikel wert.

Zusammenfassend habe ich dann doch eher über das geschrieben, was am Computer passieren kann. Und auch wiederum nicht, denn das Bild links oben ist nahezu unbearbeitet so aus der Kamera gepurzelt. Es geht darum, in der echten Welt Komplementärfarben zu sehen, sei es klassisch eine einzelne oder mein Eifelturm. Es geht darum, den pinkfarbenen VW Käfer vor der Almwiese zu fotografieren oder halt ganz Ton in Ton die Alhambra oder den Ayers Rock. Es geht darum, sich Gedanken zu machen, wie gewisse Farben auf die Betrachter wirken, wer die Betrachter sein werden und schlußendlich auch darum, was euch gefällt. Denn jeder von uns hat unterschiedliche Verhältnisse zwischen den farbempfindlichen Zäpfchen im Auge.

 

Schreibe einen Kommentar